die Bedürfnisse des Menschen – eine Übersicht

Um in der Kinderbetreuung bedürfnisorientiert arbeiten zu können, kann es hilfreich sein, sich die wichtigsten Bedürfnisse eines jeden Menschen nochmal vor Augen zu führen.

Mit dem umfangreichen Themenkomplex Bedürfnisse des Menschen haben sich bereits mehrere Wissenschaftler auseinandergesetzt. Die bekanntesten sind: A. Maslow, T.B. Brazelton und M.B. Rosenberg. In Anlehnung an ihre Konzepte habe ich nachfolgend die wichtigsten Bedürfnisse des Menschen zusammengetragen.

Alle drei Fachleute sind sich darüber einig: wenn der Mensch sich einen oder mehrere Bedürfnisse über lange Zeit nicht erfüllen kann, wird er unglücklich oder krank. Bei bestimmten Bedürfnissen kann die nicht Erfüllung sogar zum Tod führen.

1. Physiologische Grundbedürfnisse: jeder Mensch hat das Bedürfnis nach Schlaf, Essen, Trinken, auf Toilette gehen, Gesundheit und Sexualität

2. Bedürfnis nach Beziehung: jeder Mensch braucht für sein Wohlbefinden beständige liebevolle Beziehungen. Bindung ist eines der grundlegendsten Bedürfnisse, die wir als Menschen haben. In unseren Beziehungen finden wir Schutz, Sicherheit und eine vertrauensvolle Person, die uns hilft, wenn es uns nicht gut geht. Wir können uns sicher sein, dass sie uns respektvoll behandelt, uns vertraut und uns unterstützt.

3. Bedürfnis nach Sicherheit: Jeder Mensch hat das Bedürfnis nach körperliche Unversehrtheit, Sicherheit und Schutz. Wir brauchen die Gewissheit in einer behaglichen Atmosphäre angstfrei sein zu dürfen

4. Bedürfnis nach Kontakt und Zugehörigkeit: wir Menschen sind „Herdentiere“. Wir suchen den Kontakt zu unserer sozialen Gruppe und wollen ein fester Bestandteil der Gruppe sein. Um uns wohl zu fühlen, brauchen wir ein Gefühl von Nähe, Liebe, Zusammensein und Gemeinschaft mit anderen. Freundschaften machen uns glücklich. Wenn wir mit Menschen zu tun haben, die ähnliche Interessen verfolgen, wir etwas mit ihnen teilen können, erfüllt das eines unserer wesentlichen Bedürfnisse.

5. Bedürfnis nach Erholung: nach Anstrengung, Stress oder vielen Eindrücken haben wir das Bedürfnis nach Ruhe und Erholung. Wir brauchen zwischendurch freie Zeit, die Möglichkeit etwas selbstbestimmt zu tun, sich körperlich und geistig „aufzutanken“ oder alleine zu sein. Menschen haben das Bedürfnis nach Urlaub und nach Ferien. Jeder Mensch nutzt andere Strategien, um sich zu entspannen.

6. Bedürfnis nach Grenzen und Strukturen: Menschen suchen nach Kontinuität. Sie nutzen Rituale, um ihr Leben zu strukturieren. Gleichbleibende Abläufe können uns Halt geben. Wir haben das Bedürfnis, die eigenen Möglichkeiten und Grenzen zu erfahren und zu verstehen.

7. Bedürfnis nach Autonomie: Wir Menschen wollen Erfahrungen machen, raus in die Welt, uns verwirklichen, unsere Potenziale entfalten, selbstbestimmt sein. Wir wollen uns ausdrücken und uns entwickeln. Dazu brauchen wir Möglichkeiten, Erfahrungen zu machen, die für uns und unsere Kompetenzen passend sind. Wir wollen Verantwortung übernehmen und so leben, wie wir möchten. Wir wollen uns selbst Ziele stecken, Träume entwickeln und uns selbst Werte wählen, die für uns passen. Wir brauchen das Recht auf Individualität, Freiräume für schöpferisches Arbeiten und Kreativität. Wir brauchen die Autonomie, um authentisch leben zu können.

8. Bedürfnis nach Anerkennung: Wir suchen danach, Anerkennung für unsere Leistung zu bekommen. Wir wollen wichtig sein, wertvoll sein, eine Geltung haben. Wir suchen nach Zustimmung und Resonanz. Anerkennung sollte nicht mit Belohnung verwechselt werden.

9. Bedürfnis nach Spiel: der Mensch hat das Bedürfnis nach Spiel, nach freiem, zweckfreiem Tun.

10. Bedürfnis nach Feiern und Spiritualität: wir Menschen wollen Freude erleben, lachen und die Schönheit des Lebens genießen. Wir haben das Bedürfnis über philosophische Fragen nachzudenken, die mit unserem Leben zu tun haben. Wir wollen beispielsweise darüber nachdenken, wie Leben entsteht oder was der Tod ist. Wir wollen uns mit den Themen Abschied Übergänge, Frieden und Glaube auseinandersetzen.

11. Bedürfnis nach Empathie: nach Rosenberg haben wir ein Bedürfnis nach Empathie. Das bedeutet, wir suchen nach einem Gegenüber, das uns versteht, sich in uns hineinfühlen kann, uns sieht und hört. Wir suchen danach, Verständnis und Wertschätzung von unserem Gegenüber für unsere Gefühle, für unser Handeln zu erhalten. Wir wünschen uns Respekt und Akzeptanz.

12. Bedürfnis nach Würde und Sinn: wir wollen uns in unserem Sein angenommen fühlen und uns selbst als wertvoll betrachten. Wir wollen in unserem Tun einen Sinn erkennen, einen Beitrag zum großen Ganzen leisten, etwas bewegen und unser Tun als bedeutend erleben. Der Mensch möchte gebraucht werden.

  • Brazelton, T. Berry, Greenspan, Stanley I. (2002): Die sieben Grundbedürfnisse von Kindern. was jedes Kind braucht, um gesund aufzuwachsen, gut zu lernen und glücklich zu sein. Weinheim [u.a.]: Beltz.
  • Maslow, A. (1943): A theory of human motivation. In: Psychological Review, 50(4), 370-396
  • Rosenberg, Marshall, B. (2016): Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens.


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Umgang mit der Wut der Kinder in der bedürfnisorientierten Kinderbetreuung

Wütend ist jeder Mensch das ein oder andere Mal. Die Wut gehört als Gefühl genauso zu uns wie die Trauer, die Freude und die Angst. Die Frage ist nur, ob wir eine Wahrnehmung für diese Wut haben, merken, wann sie in uns aufsteigt und ob wir wissen, was sie uns sagen will.

Zuerst beginnt das Herz zu klopfen, der Magen verkrümmt sich und das Gefühl steigt erst langsam, dann immer schneller in uns auf. 

Wenn wir diese Zeichen nicht spüren, platzt die Wut zu einem späteren Zeitpunkt geballt aus uns heraus und wir wissen nicht mehr, wo kam die Wut denn genau her? Es ist schwer herauszufiltern, was genau die Auslöser waren.

Wut rechtzeitig wahrnehmen

Wenn wir es schaffen rechtzeitig zu merken, dass wir wütend werden, kann das oft verpönte Gefühl der Wut unter Umständen sehr nützlich sein.

Es zeigt, mir geht es nicht gut, irgendwas stimmt hier nicht, ich gehe über meine Grenze, jemand anders geht über meine Grenze, ein Bedürfnis ist nicht ausreichend erfüllt.

Auf dieser Basis habe ich dann die Möglichkeit, für mich eine persönliche Lösung zu finden, die dazu beiträgt, dass ich mein inneres Gleichgewicht wiederfinden kann. 

Ich gehe folglich verantwortlich mit meinem Gefühl um, bin nicht von Schuldgefühlen geplagt, muss nicht in den Kampf, die Aggression oder die Resignation gehen. 

Umgang mit der Wut der Kinder in der bedürfnisorientierten Kinderbetreuung

Dieser Umgang mit Wut ist ein wichtiger Baustein der Bedürfnisorientierten Kinderbetreuung. Wir Fachkräfte können die Kinder darin unterstützen, ihre Wut wahrzunehmen, die Ursachen für sie herauszufinden und gemeinsam mit ihnen Lösungsstrategien zu entwickeln. 

1) Wahrnehmung der Wut

Wir Fachkräfte begleiten die Kinder in der Wahrnehmung ihrer Wut, machen sie darauf aufmerksam: 

“schau mal, du bist gerade wütend”, 

“merkst du, wie sich das anfühlt?” 

“ein Groll steigt langsam in deinem Bauch empor oder wie fühlt sich das genau bei dir an?” 

2) Ursachen für die Wut ergründen

Wir können den Kindern helfen, die Ursache für ihre Wut und das Bedürfnis dahinter herauszufinden und zu verstehen. Sie schulen dadurch ihre Wahrnehmung für die Entstehung ihrer Wut.

“achso, du wolltest auch die Schaufel haben, verstehe”

“der Benni hat dir das Laufrad weggenommen, das macht dich so wütend”

“verstehe, du hast eine tolle Sandburg gebaut und die ist jetzt kaputt?”

 

3) Lösungsstrategien mit dem Kind entwickeln

Im dritten Schritt kann man gemeinsam mit dem Kind eine Strategie erarbeiten, wie es sich sein unbefriedigtes Bedürfnis erfüllen kann. 

“hast du eine Idee, wie du auch so eine Schaufel bekommen kannst?

“magst du Lara mal fragen ob du die Schaufel auch mal haben kannst?”

“du würdest dem Jan gerne sagen, dass du wütend bist weil er deine Sandburg kaputt gemacht hat?” “Magst du zu ihm hingehen?” Soll ich mitkommen?”

Umgang mit Wut als wichtige Sozialkompetenz

Durch diese drei Schritte lernt ein Kind, dass Wut gut ist und nichts bedrohliches. Es lernt, dass es seine Wut nicht wegschieben oder unterdrücken muss. Es lernt, dass es einen Weg gibt, das Gefühl konstruktiv zu nutzen. Es lernt, seine Wut rechtzeitig wahrzunehmen, ihren Ursprung zu verstehen und eine Lösung für seine Bedürfnisse, die hinter der Wut stehen, zu finden. 

Der Umgang mit Wut ist eine äußerst wichtige Sozialkompetenz, die Kinder bereits im Kindergartenalter lernen können. Denn Wut hilft uns für unsere eigenen Bedürfnisse einzustehen. Wir können ihre Energie nutzen um „Ja“ zu sagen, „Nein“ zu sagen, „bleibe“ zu sagen oder „geh weg“ zu sagen. Wir können die Wut als Motor unserer inneren Bedürfnisse verstehen und nutzen. Unausgelebte Wut führt hingegen dazu, dass wir traurig werden oder sogar depressiv (Deutschlandfunk Kultur).

Manche Kinder sind scheinbar nicht wütend

Manche Kinder zeigen keine Wut, so scheint es häufig. Das liegt allerdings nicht daran, dass sie nicht wütend sind, sondern dass sie keine Platftorm erhalten, auf der diesem negativen Gefühl Raum gegeben wird. Kinder merken schnell, bei wem Wut erwünscht ist und bei wem nicht. Sie passen sich an, schlucken ihre Wut runter, entfernen sich von sich selbst.

Zu oft erlebe ich es noch in Einrichtungen, dass die Wut der Kinder runtergespielt, nicht ernst genommen wird, nicht genutzt, überspielt oder unterdrückt wird. Ich höre noch viel zu oft die Sätze:

“jetzt beruhig dich mal”

“der bockt schon wieder”

“unser Wutzwerg mal wieder”

“komm wir schicken den Ziegenbock raus”

“und da fliegt die Wut aus dem Fenster”

Damit wird die Wut der Kinder nicht ernst genommen. Diese Sätze haben immer die gleiche Botschaft:

„wir wollen die Wut hier nicht haben“ „tue etwas, damit du nicht mehr wütend bist“.

Verfolgen wir jedoch unbewusst oder bewusst als einziges Ziel, irgendwie die Wut der Kinder wegzuschieben, weg zu bekommen, hat das Kind wenig Möglichkeit sie zu spüren und für sich etwas über sich zu lernen. Denn wie soll ein Kind, das seine Wut nicht zeigen durfte, lernen, wie es mit ihr umgeht? Kinder unterdrücken folglich ihre Wut und entwickeln womöglich bei aufkommender Wut unbewusst Schuldgefühle.

Kinder mit ihrer Wut alleine lassen

In der Wut der Kinder haben wir oft das Bedürfnis zu flüchten. In uns steigt der Fluchtreflex aus dem Stammhirn empor und wir schaffen es nicht körperlich präsent und emotional in Verbindung mit dem Kind zu bleiben.

Kinder mit ihrer Wut alleine zu lassen, empfinden diese wie eine Bestrafung (s. Quelle)

Wenn sie wütend werden brauchen sie unsere Präsenz, das Gefühl, wir lassen sie nicht im Stich. Auch wenn sie wütend werden sind wir für sie da. Sie brauchen das Gefühl ich werde auch wahrgenommen, angenommen, respektiert und toleriert, wenn die Wut in mir aufsteigt. Es ist jemand da, der mich tröstet und bei mir ist. Das spendet Trost und verringert die Angst vor der nächsten Wut.

Passive Aggressivität im Erwachsenenalter

Wenn Kinder lernen, dass ihre Wut nicht willkommen ist, zeigen sie diese später im Erwachsenenalter häufig in passiv aggressiver Form. Sie haben verinnerlicht,

“offen sollte ich meine Wut lieber nicht zeigen. Das hat negative Konsequenzen für mich”.

Ihre passive Aggressivität zeigt sich beispielsweise im chronischen zu spät kommen, Augen rollen, körperlich wegdrehen, Herabwürdigung des anderen,  Ausweichen von Konfliktgesprächen, Intrigen spinnen, Ärgern, sich selbst schlecht reden uvm. Sie wissen einfach nicht, wann wurde ich warum wütend und wie kann ich meine Wut in ein konstruktives Handeln umwandeln.

Die Wut ist bei uns Menschen also da. Die Frage ist nur, wie gehen wir mit ihr um? Was lernen wir aus ihr? Erlauben wir ihr zum Ausdruck zu kommen und sie als Zeichen für uns selbst wahrzunehmen.

Heißen wir sie in den Betreuungseinrichtungen also jeder Zeit willkommen. Lernen wir gemeinsam mit den Kindern, wie wir sie feiern und für uns nutzen können.

„Juhuuu, wir sind wütend!“ „Wut ist etwas tolles!“

Begleiten wir die Kinder in der Kinderbetreuung darin bedürfnisorientiert ihre Wut zu verstehen. Das ist die beste Vorbereitung auf ein glückliches, verantwortungsbewusstes Leben.

Deutschlandfunk Kultur: https://www.deutschlandfunkkultur.de/emotionsforschung-wer-wut-unterdrueckt-kann-depressiv-werden.976.de.html?dram:article_id=466223 (Letzter Zugriff: 19.01.2020)


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Die Morgenkreis-Falle – für manche Kinder sind Morgenkreise eine Qual!

der Morgenkreis ist doch das A und O einer Kita! In jeder Kita werden Morgenkreise durchgeführt. Hat man das nicht schon immer so gemacht?! Kinder brauchen Rituale, Struktur sonst können sie sich nicht orientieren, fühlen sich nicht sicher. Ist das wirklich so?

Nein. All das sind Glaubenssätze, die ich schon oft zum Thema Morgenkreis gehört habe.


Ein Morgenkreis kann wirklich etwas Schönes sein … FÜR MANCHE KINDER

Ein Morgenkreis kann wirklich den Tag strukturieren
… FÜR MANCHE KINDER

Ein Morgenkreis kann wirklich etwas beinhalten, bei dem man etwas lernen kann
… FÜR MANCHE KINDERER

Ein Morgenkreis kann wirklich etwas interessantes sein
… FÜR MANCHE KINDERER

Ein Morgenkreis kann wirklich Spaß machen … FÜR MANCHE KINDER

…ABER lange nicht für ALLE KINDER!
Für manche Kinder ist der Morgenkreis eine QUAL. Sie müssen still sitzen obwohl sie längst ihre Idee von heute Morgen umsetzen wollen. Sie müssen still sitzen obwohl sie den inneren Drang haben das Spiel von gestern mit ihrem Freund weiterzuspielen. Sie sollen bei etwas zuhören, was sie überhaupt nicht interessiert. Sie sollen etwas lernen, das sie gerade nicht lernen wollen. Sie können nicht ruhig sitzen, sie können nicht zuhören, sie wollen nicht zuhören, sie denken schon die ganze Zeit an ihre Ritterburg im anderen Raum, an ihr Feenschloß im Garten oder ihren aufwendigen Papierdrachen im Atelier.


Sie werden folglich mehrfach ermahnt, werden umgesetzt, werden aus dem Zimmer geworfen. Und jetzt? Na das ist ja ein toller Morgen, schon jetzt eine miese Stimmung. Und das Kind bleibt zurück mit viel ÄRGER, FRUST und WUT. Am Ende sind alle entnervt, die Fachkräfte, das betroffene Kind und die anderen Kinder. Na ob das wirklich noch ein schöner Tag wird? Und das, obwohl der Morgenkreis doch eigentlich dazu da sein soll, den Tag schön zu beginnen oder?


Gibt es vielleicht auch eine andere Möglichkeit den Tag schön zu beginnen?Wie gestaltet ihr den Morgenkreis bedürfnisorientiert? Wie gestaltet ihr den Morgenkreis individuell?


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“NEIN” sagen (dürfen)! Wie Kinder lernen sich abzugrenzen

ich habe vor kurzem ein tolles Zitat gelesen. Leider habe ich vergessen woher es stammt. Es lautete in etwa so: 

wir gehen ständig über die Grenzen der Kinder. Gleichzeitig versuchen wir ihnen beizubringen, dass sie ihre Grenzen wahren sollen

Das ist doch wirklich absurd. Oder?

ZUERST fordern wir Kinder dazu auf, 

… sich zu entschuldigen obwohl sie keine Schuld tragen

… aufzuessen obwohl sie satt sind

… zu probieren obwohl sie sich ekeln

… zu schlafen obwohl sie nicht müde sind

… Fachkräfte zu umarmen obwohl es ihnen unangenehm ist

… Spielsachen zu teilen obwohl sie sehr wichtig für ihr Spiel sind

… immer im Sichtfeld zu bleiben obwohl sie sich Ruhe wünschen

… mit einem bestimmten Kind zu spielen obwohl sie nicht mit diesem Kind spielen wollen

… zu grüßen obwohl es ihnen vielleicht unangenehm ist

… mit Kosenamen zu rufen obwohl sie das nicht mögen

… über ihre Köpfe zu streicheln obwohl sie es nicht mögen

… an ihren Wangen zu kneifen obwohl sie es nicht mögen

wir manipulieren Kinder, nehmen ihre Gefühle und Bedürfnisse oft nicht ernst, übergehen sie und sprechen ihnen ihre Gefühle ab (“da muss man doch keine Angst haben”, “jetzt hab dich nicht so”). Alles in allem gehen wir also – oft unbewusst – immer wieder sowohl über die physischen als auch die psychischen GRENZEN der Kinder hinweg. 

UND GLEICHZEITIG wollen wir, dass Kinder

… alle Grenzen der anderen Kinder wahren

… nie die Grenzen der Erwachsenen überschreiten 

… lernen NEIN oder Stopp zu sagen

… an Anti-Aggressionsprogrammen teilnehmen

… usw.

Ist es nicht ein enormer innerer Konflikt, wenn ich die GRENZEN der anderen wahren soll, ich jedoch ständig selbst erlebe, wie über meine eigenen Grenzen hinweggegangen wird?!

Das NEIN der Kinder akzeptieren

Nur wenn wir ein NEIN der Kinder akzeptieren, lernen sie auch, dass sie IHRE GRENZEN wahren und vertreten dürfen. Wir sollten deshalb die NEINs der Kinder wahrnehmen, akzeptieren, respektieren und tolerieren.

NEINs drücken sich bei Kindern entsprechend ihres Temperaments in unterschiedlicher Form und Klarheit aus: 

  • sie sagen verbal „NEIN
  • sie schütteln (verschüchtert) den Kopf
  • sie schauen weg
  • ziehen sich in sich zurück
  • werden wütend
  • schreien
  • schubsen weg

Es gibt also vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten des NEINs und wir Erwachsene sind in der Verantwortung diese NEINs zu deuten.

Wenn ein Kind sagt, es möchte nicht probieren, sollten wir das NEIN akzeptieren und nicht noch 10 mal nachfragen, ob es nicht doch probieren möchte. Wenn ein Kind alleine auf Toilette gehen möchte, sollten wir das respektieren, wenn ein Kind nicht den Weihnachtsmann basteln möchte weil es momentan für sich sinnvollere Aufgaben hat, sollten wir das NEIN respektieren. Wenn ein Kind von einer bestimmten Fachkraft nicht ausgezogen werden will, sollten wir das respektieren ohne es persönlich zu nehmen. Ich könnte solche Beispiele endlos fortsetzen (kennt ihr noch Beispiele?)

Nur wenn wir dem Kind mit der HALTUNG gegenübertreten, ein NEIN ist in Ordnung, spürt es auch: “ich darf NEIN sagen”. Sehr feinfühlige Kinder merken sehr bald, bei welcher Fachkraft ein NEIN in Ordnung ist und bei welcher Fachkraft man lieber JA anstatt NEIN sagen sollte.

JA sagen wo NEIN gemeint war

Genau an diesem Punkt, wenn Kinder JA sagen müssen, wo eigentlich ein NEIN authentisch gewesen wäre, beginnen sie jedoch ihr Innerstes zu verleugnen und ihre inneren und äußeren Grenzen verschiwimmen. Sie nehmen ihre tatsächlichen Bedürfnisse immer verschwommener wahr. 

Menschen, die auf Dauer lernen, ich sollte lieber immer JA sagen anstatt einem passenderen NEIN leben kein authentisches Leben, sie leben im außen und wenig bei sich, wenig in der eigenen Kraft. Menschen, die nicht NEIN sagen können, geben sich selbst eher auf und haben Angst vor Konflikten. Ein Dauerhaftes nicht NEIN sagen können, schlägt sich in negativer Weise langfristig auf das körperliche und seelische Wohlbefinden nieder. Es kann sogar Depressionen fördern (https://www.angst-panik-hilfe.de/angst-nein-zu-sagen.html) All das wollen wir für unsere Kinder jedoch nicht!

Fachkräfte sind Vorbilder

Neben dem Akzeptieren der NEINs der Kinder können wir gute Vorbilder für die Kinder sein. Wir können authentisch mit unseren eigenen NEINs umgehen.

Dazu bedarf es ein klares, reflektiertes Selbst. Ich brauche KLARHEIT für für das, was mir und der Kita wichtig ist. Es geht folglich um die eigenen Werte und die Werte der Einrichtung. 

  1. Bsp: Wenn ein Kind gerade Schwierigkeiten hat seine Schuhe zu finden und es fragt: “kannst du mir helfen?” Könntest du dich – je nach Fähigkeit des Kindes – sagen: “Nein, ich brauche noch Zeit um die Jacke von Pia zuzumachen. Du wirst deine Schuhe sicherlich alleine finden”. Das Kind wird evtl. frustriert sein, vielleicht schimpfen und ärgerlich auf dich sein. Gleichzeitig bekommt das Kind jedoch die Möglichkeit zu erleben, dass auch ein NEIN als Antwort möglich ist. Dabei hat es die Chance, seinen Frust zu überwinden, sich weiterzuentwickeln und doch selbstständig erfolgreich und stolz zu sein.
  2. Bsp: Ein Kind kommt zu uns und möchte mit uns spielen. Ich spüre in mich rein und merke, ich brauche noch einen Moment, um in Ruhe mein Wasser zu trinken. Ich kann sagen: “Nein, ich brauche noch 2 Minuten. Schau, wenn der große Zeiger auf der 6 ist, komme ich zu euch und dann können wir zusammen spielen”.

Was wir durch unsere NEINS bewirken

Durch unsere NEINs geben wir den Kindern die Möglichkeit 

  1. mit Frust umzugehen
  2. zu wachsen
  3. Konflikte zu üben
  4. Lösungen zu suchen
  5. Charakterstärke zu üben

Ich sage als Fachkraft NEIN um meiner selbst Willen. Das Ziel ist nicht eine erzieherische Maßnahme nach dem Motto: “Kinder brauchen Grenzen und müssen erzogen werden”. Vielmehr gehe ich achtsam und authentisch mit meinen eigenen Bedürfnissen und Grenzen um und sage NEIN. Dadurch können alle Beteiligten der Einrichtung lernen respektvoll mit den eigenen und den Grenzen der anderen umzugehen.

Fragen provozieren ein NEIN der Kinder

Durch meine Fragetechnik kann ich der Wichtigkeit des Bevorstehenden Ausdruck verleihen. Ich mache durch die Art der Frage oder der Aussage deutlich, was mir wie sehr wichtig ist. Ich kann also beeinflussen, wie viel gefühlten Spielraum es für die Kinder gibt mit „NEIN“ zu antworten. Ich stelle Fragen wenn etwas verhandelbar ist und mache Ansagen wenn etwas indiskutabel ist. Eine konkrete Ansage verleiht der bevorstehenden Aktion eine größere Bedeutung. Wenn ich sage: „wir gehen jetzt auf den Spielplatz, zieht euch alle an“ wird ganz klar nicht nach einer Diskussion gefragt.

Fragetechnik wenn ich zeigen möchte, das ist mir jetzt sehr wichtig.

  1. keine Fragen stellen z.B. „wollt ihr auf den Spielplatz gehen?“ wenn es keine Option gibt. Auf eine Frage kann man mit NEIN antworten.
  2. Keine Suggestiv-Fragen: „ihr wollt doch zum Spielplatz oder?“
  3. Eine Bitte kann abgelehnt werden „zieht euch bitte an wir gehen jetzt zum Spielplatz“. Darauf können Kinder mit NEIN antworten.
  4. Nur Sätze, die nicht mit Ja oder Nein beantwortet werden können „zieht euch jetzt an!“
  5. Eine konkrete Anweisung aussprechen: Wir gehen jetzt auf den Spielplatz. Die Kinder wissen was zu tun ist und sie werden nicht überfordert.
  6. Anweisung bei Bedarf begründen „mir ist es wichtig, dass wir alle zusammen etwas machen“

Nur weil ich eine Ansage gemacht habe, heißt das nicht, dass alle Kinder mit meinem Bedürfnis einverstanden sind. Das müssen sie auch nicht. Ich habe die Wichtigkeit des Vorhabens (mein Bedürfnis) deutlich gemacht: „wir gehen alle zum Spielplatz!“. Wenn ein Kind dagegen rebelliert zeigt es: „ich bin aber nicht damit einverstanden!“ Das ist sein gutes Recht und gut, dass er seinem Bedürfnis Ausdruck verleiht. Nun steht Bedürfnis gegen Bedürfnis.

Wenn ich das NEIN des Kindes nicht akzeptieren kann

Im pädagogischen Alltag treten immer wieder Situationen auf, in denen etwas ansteht, bei dem das Kind nicht NEIN sagen kann. Es ist zum Beispiel klar, dass alle Kinder gemeinsam auf den Spielplatz gehen. Tom möchte aber nicht mit auf den Spielplatz und äußert das deutlich auf seine Art: er beginnt, Unruhe in der Garderobe zu stiften, Quatsch zu machen, Kinder zu ärgern. Er zieht sich in der Garderobe nicht an. Als alle Kinder bereits fertig angezogen sind, hat er immer noch nicht seine Schuhe angezogen. Er sagt auf seine Art NEIN ich will nicht zum Spielplatz“. Was kann ich tun?

Was kann ich konkret tun, wenn das Kind „NEIN“ sagt?

Zunächst kann ich wertschätzen, dass er mir sein Bedürfnis, nicht mit auf den Spielplatz zu wollen, mitgeteilt hat: „gut, dass du mir das sagst, sonst hätte ich gar nicht gewusst, dass du nicht mit möchtest“. Auf diese Weise lernt Tom, dass sein „NEIN“ gehört wird und eine Relevanz erfährt. Die Wertschätzung eines Wunsches bedeutet aber nicht unbedingt, dass dem Wunsch nachgekommen werden muss!

  1. Beschreibung der Situation: „ich sehe du machst hier ganz viel Quatsch und möchtest dich gar nicht anziehen“
  2. Sich einfühlen: „kann es sein dass du lieber hier im Kindergarten bleiben möchtest?“ „Bist du nicht gerne auf dem Spielplatz?“. Dabei darauf achten, welche Sätze bei ihm Anklang finden um herauszufiltern, was sein tatsächliches Anliegen ist. Ob er wirklich nicht mit möchte oder etwas anderes sein Bedürfnis ist.
  3. Gründe herauszufinden: „was magst du auf dem Spielplatz nicht?“ Vielleicht hat das Kind vor etwas Angst? Oder es friert? Oder es gibt etwas auf dem Weg dort hin, das ihm Angst macht?! Mit ihm gemeinsam Gründe herausfinden.
  4. Alternativen/Kompromisse/Lösungen mit dem Kind gemeinsam Lösungen oder Kompromisse herausfinden. z.B. kann das Kind in einer anderen Gruppe bleiben? Er kann immer an der Hand der Erzieherin bleiben wenn er Angst hat? Kinder sind oft äußerst kreativ dabei Lösungen zu finden. Vielleicht hat er selbst gute Vorschläge?! Ansonsten Ideen vorschlagen.
  5. Gefühle begleiten: wenn die Entscheidung der Fachkraft feststeht und kein Kompromiss möglich ist (das ist durchaus legitim), kann man das Kind in seinen Gefühlen (Frust/Ärger/Wut) begleiten. „Ich kann verstehen, dass du enttäuscht/sauer bist. Ich habe gleichzeitig keine andere Möglichkeit.“ Tränen dürfen sein! Dann trösten. Gewöhnlicherweise wirken Kinder wesentlich „aufgeräumter“ nachdem sie weinen und ihrem Frust Luft machen konnten.


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Probier- oder Kostehappen- NEIN danke!

Wer kennt ihn nicht den allbekannten Koste-, Probierlöffel oder Probierhappen. Viele Fachkräfte wollen, dass Kinder “zumindest mal probieren” auch wenn das Kind NEIN sagt und keinen Spinat, keinen Salat, kein Fleisch o.ä. essen möchten.

Viele Fachkräfte erhoffen sich davon, dass das Kind gesünder isst oder auch durch das Probieren Gefallen an diesem Essen findet. Das Gegenteil ist der Fall!

Stellt euch mal vor, ihr hättet euer allerliebstes Mittagessen vor euch stehen – ihr habt so richtig Lust darauf. Jetzt kommt Jemand und schöpft euch (evtl. sogar ohne euch zu fragen) einen Klecks von dem ungeliebten Essen mit auf den gleichen Teller. Würde euch da nicht auch die Lust auf das Lieblingsessen vergehen? Würde nicht sogar ein Ekel aufkommen, der euch das ganze Essen vermiest?!Für die Zukunft würde das für mich vielleicht sogar bedeuten, ich mag das ungeliebte Essen noch weniger. Es könnte sogar sein, dass für mich die Essenssituation im Kindergarten auf Dauer einen negativen Beigeschmack hat – mir die Essenslust vergangen ist.

Sollte es nicht das ZIEL im Kindergarten sein, die Freude und Lust am Essen bei den Kindern zu erhalten? Sollte es nicht das Ziel sein, ein gesundes Verhältnis zum Essen zu bewahren? Ich halte es für sehr wichtig, den Kindern die Kompetenz zuzusprechen, für sich selbst am besten entscheiden zu können, was ihnen kulinarisch gut tut und was nicht. Es sollte ihnen selbst überlassen bleiben, wann sie etwas probieren möchten und wann nicht.

Druck von außen führt eher dazu, sich von dem ungeliebten Lebensmittel fern zu halten oder sogar sein ganzes Leben zu verabscheuen.

Meine Erzieherfachschüler antworten meistens auf diese Annahme mit: “stimmt, das was ich damals essen sollte, mag ich noch heute nicht!”

Kennt ihr das auch? Wie geht ihr in der Praxis mit dem Probieren um?


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“Das macht man doch nicht” – aggressives Spiel unter Kindern

Kennt ihr diese Situation? Ein fünfjähriger Junge rammt mit dem Laufrad ein zweijähriges Mädchen auf einem Dreirad. Das Mädchen wird bei jedem Aufprall durchgeschüttelt. Es lacht dabei immer wieder laut auf. Eine Fachkraft schimpft mit dem größeren Kind und ermahnt es damit aufzuhören “das macht man nicht Tim”. Der Junge schaut erschrocken zur Erzieherin, dreht sich nach kurzer Zeit wieder um und rammt das Kind erneut. Nun läuft die Fachkraft mit wütendem Schritt auf den Jungen zu und nimmt ihm forsch das Laufrad weg. Tim steht etwas betröppelt da. 

Was ist passiert?

Die Fachkraft empfindet das Auffahren vermutlich als für sie selbst unangenehm, ihr würde das evtl. nicht gefallen, wenn sie das Kind wäre. In ihr laufen blitzschnell innere Stimmen ab, die ihr sagen: “das macht man doch nicht”. “Rammen ist unerhört”, “aggressiv”, “wenn der Junge das noch macht wenn er größer wird, bin ich vielleicht daran Schuld weil ich ihn nicht erzogen habe”. Während dieser unbewusst sorgenvollen Vermutungen, verliert sie den Blick für die tatsächlichen Bedürfnisse der Kinder und handelt schlicht aus ihrem ersten Impuls heraus, der sich ihrer naheliegendsten Handlungsstrategien bedient. Sie greift ein, “das kann ich so nicht durchgehen lassen!”.

Man kann ihr dieses Vorgehen nicht vorwerfen, denn sie hat getan, was sie tuen konnte, sie hat ihr bestes gegeben.

Zurück bleiben zwei Kinder im luftleeren Raum

Den Kindern hingegen wurde damit Unrecht getan und zwar nicht nur Tim sondern auch dem Mädchen. Beide hatten sehr viel Freude an dem Spiel und zeigten keinerlei Anzeichen, dass ihre Grenzen überschritten wurden, ganz im Gegenteil! 

  • zurück bleibt ein Junge, der vermutlich traurig ist weil er ein lustiges Spiel nicht weiter verfolgen konnte und das obwohl Lachen das Gesündeste der Welt ist.
  • zurück bleibt ein Junge, der vermutlich verwirrt ist weil er nicht versteht, warum er mit dem Rammen aufhören sollte, obwohl das Mädchen sehr viel Spaß gezeigt hatte.
  • zurück bleibt ein Junge, der vermutlich verärgert ist weil er nun sein geliebtes Laufrad weggenommen bekommen hat. Er ist zudem verwirrt, da es doch immer wieder heißt, er selbst solle nichts wegnehmen.
  • zurück bleiben zwei Kinder, die aus einem wunderbaren Spiel gerissen wurden und sich nun im luftleeren Raum bewegen. Sie sind auf der Suche nach einem neuen für sie passenden Spiel, bei dem sie etwas lernen können. Bis dahin sind sie erstmal damit beschäftigt innerlich mit ihrem Frust, ihrer Enttäuschung und ihrer Wut umzugehen.

Ich stelle mir zu der Situation noch eine Frage: wäre die Fachkraft auch eingeschritten, wenn das kleine süße Mädchen den “Raufbold” Tim gerammt hätte? Wir folgen bei sanktionierendem Verhalten oft unseren inneren Vorurteilen. “Der Junge kann das schon ab aber das kleine süße zerbrechliche Mädchen doch nicht. Ihr muss ich helfen!”

Was hätte man tun können?

  • Die Situation aus der Ferne beobachten. Die verbalen und mimischen Ausdrücke der Kinder verraten, ob ihre Grenze noch gewahrt ist.
  • Selbsteinfühlung: wie geht es mir dabei, was empfinde ich? Übertrage ich mein ungutes Gefühl auf die Kinder? Ist nur meine Grenze überschritten oder auch die der Kinder?
  • Auch unser Bedürfnis spielt in der bedürfnisorientierten Kinderbetreuung eine wichtige Rolle. Wenn ich Angst habe, sie könnten sich verletzen oder die Spielgeräte könnten dabei kaputt gehen, darf ich einschreiten. Ich könnte dann sagen: “oh ich sehe, ihr zwei wollt gerade ineinander fahren. Wisst ihr, ich habe Sorge, dass dabei die Fahrzeuge kaputt gehen. Helft mir mal, vielleicht könnt ihr noch mit etwas anderem ineinander fahren? Oder laufen?

Wir wissen schließlich nicht, was bei dem Spiel die Lernabsicht der Kinder war! Auch ein vermeindlich “aggressives” Spiel kann durchaus lustvoll für Kinder sein. Mehr als sonst sollte dabei darauf geachtet werden, dass die Grenzen aller Beteiligten gewahrt bleiben.

„Justus, achtest du bitte immer darauf, ob Greta dieses Spiel noch gefällt“


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Eine Auszeit als Strafe ist grenzüberschreitend

Heute geht es um ein nicht sehr erfreuliches Thema, aber eins, das mir sehr am Herzen liegt. Ich habe in meinem beruflichen Alltag bereits ein paar Mal gesehen, wie Kinder als Strafe für ein unerwünschtes Verhalten alleine in der Garderobe sitzen mussten. Die anderen Kinder haben derweil weiter im Gruppenraum gespielt oder sind als Gruppe rausgegangen. Das heißt, die betroffenen Kinder waren für einen längeren Zeitraum auf sich gestellt.

Zunächst möchte ich klar feststellen, der Ausschluss aus einer sozialen Gruppe als Bestrafung ist eine klare Grenzüberschreitung und nicht erlaubt! Der Paritätische Gesamtverband hat eine Arbeitshilfe zum Kinderschutz herausgegeben, in dem erklärt wird, dass “vor die Tür stellen” eine Form der Gewalt ist – also in der Garderobe sitzen, in eine Ecke stellen, vor die Tür stellen. Diese Art der Gewalt, nämlich der soziale Ausschluss aus einer Gruppe, steht in dieser Erklärung in der Schwere gleichrangig neben dem Zwang zum Aufessen, zum Schlafen, der verbalen Erniedrigung, Beschämung und der körperlichen Gewalt.https://www.paritaet-berlin.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/2016/September/2016_09_29_kinder-und-jugendschutz-in-einrichtungen_web.pdf

WARUM ist nun der Ausschluss aus der Kindergartengruppe für ein Kind so schlimm?

Man könnte ja sagen, das Kind sitzt doch an einem sicheren Ort, hat seine Ruhe und kann für sich spielen. Aber was in dem Kind passiert, kann auf Dauer negative Auswirkungen auf die Entwicklung und das Wohlbefinden des Kindes haben.

  • Der Ausschluss aus sozialen Gruppen fügt Kindern psychischen STRESS zu. Wir Homo Sapiens sind neurowissenschaftlich gesehen darauf gepolt, immer in der Nähe der sozialen Gruppe zu bleiben. Wenn wir früher alleine in der Wildnis unterwegs gewesen wären, hätten wir vermutlich ohne unsere Gruppe nicht lange überlebt. Es kann also ein Gefühl von verlassen sein, allein gelassen sein oder sogar ein Gefühl von Todesangst einsetzen. Das bedeutet im Gehirn massiven Stress. Und eine hohe Cortisolausschüttung im Gehirn kann auf Dauer eine chronische Cortisolüberfunktion oder eine chronische Cortisolunterfunktion hervorrufen und die Entwicklung beeinträchtigen.
  • Die BEZIEHUNG zur strafenden Fachkraft wird durch den Ausschluss aus der Gruppe erschüttert. Das Kind fühlt sich in der Umgebung der Bezugsperson nicht mehr sicher: “dieser erwachsenen Person kann ich nicht vertrauen. Sie schützt mich nicht, sondern bringt mich in Gefahr”. Ein solcher verinnerlichter Glaubenssatz kann mehrere Auswirkungen haben, z.B. dass das Kind nicht mehr in den Kindergarten gehen möchte weil es sich dort nicht sicher fühlt.
  • Wie jede andere Bestrafung ist der Ausschluss aus der Gruppe hochgradig BESCHÄMEND. In diesem Fall wird die Scham allerdings noch verstärkt. Wenn ein Kind wieder zur Gruppe zurückkommen darf, sind alle Augen auf das “Übeltäter”-Kind gerichtet. Unter Umständen kann die Beschämung beim Zurückkommen noch gravierender sein als beim Verhängen der Strafe. Eine solche Art der Beschämung kann dazu führen, dass das Selbstbild des Kindes langfristig erschüttert wird und es bei wiederkehrendem Ausschluss ein negatives Selbstbild aufbaut: “ich bin böse”. Eine solche häufig auftretende Beschämung kann traumatische Auswirkungen für das Kind bedeuten (https://www.traumaheilung.de/trauma-und-scham/)
  • Einfühlungsbeispiel: wie würden wir uns fühlen, wenn wir bei unseren Verwandten zu einer Geburtstagsfeier eingeladen wären, wir schütten ausversehen ein Glas um und unsere Mutter würde uns vor die Tür setzen, uns also von der Gesellschaft ausschließen. Es würde alles in uns erschüttern: das Vertrauen in unsere Mutter, die Unsicherheit unseren Verwandten gegenüber und das Gefühl zu uns selbst. Zurückbleiben würde eine riesengroße WUT und das Bedürfnis zu FLIEHEN.
  • Fachkräfte wollen mit ihrer bestrafenden Handlung erzielen, dass ein Kind das ungewünschte Verhalten nicht mehr zeigt. Es kann auch sein, dass der gewünschte Effekt kurzzeitig eintritt. Der Ausschluss aus der Gruppe wird das Kind allerdings eher dazu veranlassen in Widerstand zu gehen und seinem ÄRGER über die Bestrafung Luft zu machen. Solche Kinder werden dann häufig als “schwierige Kinder” betrachtet. Langfristig gesehen ist der Ausschluss aus der Gruppe also für beide Seiten ineffektiv und ungesund.
  • Die Reaktion auf die Bestrafung und der entstandene Schaden ist allerdings stark vom Temperament des Kindes abhängig. Manche Kinder würden sich z.B. eher zurückziehen und autoaggressive, depressive Anzeichen zeigen.
  • Auch die Reaktion der ELTERN zuhause spielt eine entscheidende Rolle. Nehmen die Eltern ihr Kind ernst, trösten sie oder bleibt das Kind mit seinem Kummer alleine bzw. wird noch zusätzlich bestraft für sein „böses“ Benehmen.

Meine Haltung ist klar: ganz egal, was ein Kind “anstellt”, der Ausschluss aus der Kindergartengruppe darf NIE ein Mittel der Erziehung sein!

Welche alternativen Handlungsweisen Fachkräfte anstatt einer Auszeit nutzen können, erkläre ich in dem Artikel: „5 Alternativen für eine Auszeit als Strafe“


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