“Bevor ihr euch streitet bekommt keiner das Spielzeug” – Umgang mit Konflikten unter Kindern

“Bevor ihr euch streitet bekommt keiner das Spielzeug”

Wer kennt diesen Satz nicht?! Er wird in Einrichtungen beinahe inflationär verwendet um Streitsituationen zwischen Kindern zu schlichten. Die Fachkraft nimmt den beteiligten Kindern daraufhin das Spielzeug aus der Hand und sieht den Konflikt als geklärt. 

Was ist jedoch mit den Kindern? Ist für sie der Konflikt auch geklärt? Was sind die FOLGEN dieses Satzes und der daraus resultierenden Handlung der Fachkraft? 

Es bleiben zwei Kinder zurück…

… die bemerken, dass Streit etwas UNANGENEHMES ist, etwas nicht gewolltes ist und, dass Streit möglichst schnell geklärt werden muss. 

… die bemerken, dass die Klärung ihres Streits nicht in ihrer MACHT steht und von außen durch einen Erwachsenen geklärt werden muss. Sie geben die Verantwortung ab.

… die die Chance verpasst haben, zu LERNEN, wie man konstruktiv streitet und eine gemeinsame Lösung herbeiführen kann

… die trotzdem noch WÜTEND und sauer aufeinander sind, die nun alleine mit ihren Gefühlen umgehen müssen. Die negativen Gefühle entladen sich vermutlich zu einem späteren Zeitpunkt z.B. wenn ein erneuter Konflikt aufkommt.

… die nicht verstehen, warum sie anderen Kindern nichts WEGNEHMEN sollen, die Fachkraft genau das aber selbst tut – ihnen das Spielzeug wegnimmt.

… die gerade noch in ein Spiel VERTIEFT waren, dass ihnen ein gutes Gefühl gab, ein Flowereleben, die allerdings nun aus ihrem Spiel gerissen sind und im luftleeren Raum ohne das wichtige Spielzeug schweben.

… die ihr eben angestrebte LERNZIEL nicht weiterverfolgen können und ein neues Spiel (Lernziel) finden müssen.

Wenn durch das Agieren der Fachkräfte immer wieder suggeriert wird, dass Konflikte SCHNELL und von AUßEN geklärt werden, wie sollen Kinder dann lernen, Konflikte konstruktiv zu lösen? Brauchen Kinder nicht eigentlich aber genau das, um in der Welt bestehen zu können?

Brauchen sie nicht eigentlich ein Gegenüber, das dabei UNTERSTÜTZT, den Konflikt zu lösen? Brauchen sie nicht eigentlich einen Partner, der vormacht, wie man gewaltfrei Lösungen finden kann? Brauchen sie nicht eigentlich Vorbilder, die ihnen zeigen, Konflikte sind gut, aushaltbar, man kann an ihnen lernen, man kann sie bewältigen und man kann Lösungen finden, die für alle Beteiligten annehmbar sind. 

Um in der WELT zu bestehen, brauchen unsere Kinder das Wissen, Konflikte kommen immer und überall vor wo Menschen aufeinandertreffen. Sie sollten erfahren, dass Konflikte normal sind, Konflikte müssen nicht schnell beendet werden, Konflikte sind bewältigbar, man muss keine Angst davor haben, Konflikte können so gelöst werden, dass keiner als Verlierer hervorgeht.

Es gibt eine STUDIE, die zeigt, dass Kinder ihr Spiel am ehesten unterbrechen, wenn Erwachsene frühzeitig in einen Konflikt eingreifen und ihn klären (Singer / Hännikäinen, 2002) Es ist also wichtig Konflikte nicht sofort zu unterbinden und sofort zu klären. Denn dadurch sendet man den Kindern die Botschaft: “Konflikte sind nicht erwünscht”. Es ist wichtig, den Kindern einen Raum zur Verfügung zu stellen, in dem sie selbst versuchen können den Konflikt zu lösen. Sie brauchen die Möglichkeit Erfahrungen zu sammeln, welches eigene Handeln sie weiterbringt und welches nicht. Das ist doch eigentlich eine erfreuliche Nachricht für alle Fachkräfte. Ihr könnt euch zurücknehmen.

Wenn die Kinder allerdings selbst nicht in der Lage sind ihren Streit beizulegen, kann die  Fachkraft ihre HILFE ANBIETEN. Gewöhnlicherweise wird der Bedarf an Hilfe in drei Punkten deutlich:

  • wenn die Fachkraft direkt angesprochen wird und um Hilfe gebeten wird
  • wenn ein Kind hilfesuchend durch den Raum schaut
  • wenn Kinder handgreiflich oder aggressiv werden, sollten die Fachkräfte einschreiten weil der Konflikt einerseits nicht mehr konstruktiv ausgetragen wird und andererseits die Strategie eine gesellschaftlich nicht anerkannte ist.

Lehnen alle beteiligten Kinder allerdings das Angebot der Unterstützung ab, sollte das respektiert werden (auch wenn sie handgreiflich sind). Es sollte dabei jedoch niemand Unbeteiligtes zu Schaden kommen, gestört werden oder etwas dabei kaputt gemacht werden. In diesem Fall müsste die Fachkraft auch einschreiten weil unter Umständen die Grenzen anderer nicht gewahrt werden können.

Wenn nun Hilfe benötigt wird, kann man die Situation mit den beteiligten Kindern reflektieren, das Geschehene Revue passieren lassen, die Gefühle benennen, vermitteln und moderieren. 

Wenn zwei Kinder sich z.B. um einen Ball streiten, könnte man wie folgt vorgehen: 

  1. Situation beschreiben: du wolltest den Ball haben richtig (das eine Kind)? Und du wolltest auch den Ball haben kann das sein (andere Kind)? Wenn beide zustimmen kann man zum nächsten Schritt gehen, ansonsten weiter nachfragen und dabei unterstützen die Situation zu reflektieren. Die Kinder können auch nacheinander ihre Sichtweise schildern und wir Erwachsenen moderieren.
  2. Gefühle benennen: “du hast dich wahrscheinlich sehr geärgert weil du unbedingt mitspielen wolltest oder? Nein? Du wolltest alleine mit dem Ball spielen? Verstehe”. “Und du (anderes Kind) bist sehr wütend weil Karl dir den Ball weggenommen hat oder?” “Ja…”
  3. Lösungsorientierung: “Mh, was können wir da denn jetzt machen?” Je nach Alter die Kinder in die Lösungsfindung einbeziehen. Kinder haben oft sehr kreative Ideen, wie man Konfliktsituationen lösen kann. Falls keine Ideen vorgeschlagen werden, kann man selbst Ideen vorschlagen: “vielleicht könnt ihr zusammen spielen” oder “wie wäre es wenn ich auf die Uhr schaue und erst der eine für 5 Minuten mit dem Ball spielt und dann der andere?” Wichtig ist, dass beide Parteien mit der Lösung einverstanden sind. Erst dann ist die Konflikt Besprechung beendet.

Aus dieser Art der Konfliktmoderation lernen die Kinder eine Strategie, wie sie Konflikte lösen können, die sie womöglich noch ihr ganzes Leben nutzen können.

Singer, E. / Hännikäinen, M. (2002): The teacher’s role in territorial conflicts of two to three year old children. In: Journal of
Research in Childhood, 17. S 5-18.


Dir hat der Artikel gefallen und du möchtest mir deine Wertschätzung ausdrücken? So würde ich mich über eine Spende freuen. Ich schreibe alle Artikel ehrenamtlich und bin dankbar für deine Unterstützung.